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Informationen unserer Mitglieder | 14.06.2024

Mein Weg zu Hölderlin

In Sachen Hölderlin bin ich ein Spätberufener. Zwar drang das Gerücht von Friedrich Hölderlin als einem bedeutenden Dichter bereits zu Oberstufenzeiten zu mir, immer wieder stolperte ich zudem über den Titel Hyperion. Aber das etwas abgegriffene Reclam-Heft, das ich damals auf einem Flohmarkt kaufte, verschwand nach der Lektüre weniger Seiten im Regal: Hölderlins Roman musste warten, die Anziehungskraft von Hermann Hesse, Jack Kerouac und Arthur Rimbaud war damals einfach größer.

Während des Studiums besuchte ich dann ein Hölderlin gewidmetes Hauptseminar, geleitet von der damals als Gastdozentin an der Universität Essen lehrenden Germanistin Anna Chiarloni. Aber auch Signora Chiarloni vermochte es nicht, in mir das Hölderlinfeuer zu entfachen: zu sehr war ich in dieser Zeit noch auf Rolf Dieter Brinkmann, William S. Burroughs und andere Ikonen des literarischen Undergrounds gestimmt (wobei sich die Frage stellt, inwieweit nicht auch Hölderlin Underground ist). Das Reclam-Heft mit den ausgewählten Gedichten (mit einem Nachwort von Bernhard Böschenstein), das damals als Textgrundlage für das Seminar diente, habe ich allerdings aufgehoben: ich musste wohl was geahnt haben…

Die Wendung zu Hölderlin vollzog sich erst 2012. Angeregt durch das Gemälde Der Feldweg des Berliner Malers Uwe Henneken las ich zunächst Heideggers berühmten Aufsatz, bald folgten weitere Werke des Denkers aus Meßkirch, darunter natürlich auch seine gleichermaßen eigenwilligen wie anregenden Auslegungen Hölderlins. Und ich begann, Hölderlin zu lesen: mit Heidegger als Brandstifter brannte das Feuer – endlich. 2014 besuchte ich meine erste Hölderlin-Tagung, und noch in Konstanz trat ich in die Hölderlin-Gesellschaft ein. Seitdem ist das Feuer nicht mehr erloschen, auch wenn die Flamme zeitweilig etwas kleiner lodert als noch vor zehn Jahren.

Es sind vor allem drei Aspekte, die meine Beschäftigung mit Hölderlin bestimmen: da ist zum ersten der religiöse Dichter jenseits der christlichen Orthodoxie, der Sänger der Götternacht, der später bei Autoren wie George, Heidegger und dem späten Ernst Jünger seinen Widerhall gefunden hat. Zum zweiten ist es die Hinwendung zum antiken Griechenland und der poetischen Grundlegung eines mediterranen Denkens, das wesentlichen Einfluss hatte u.a. auf Nietzsche, Albert Camus, René Char und Odysseas Elytis. Und zum dritten schließlich der Revolutionär Hölderlin, wie er vor allem von Pierre Bertaux literaturwissenschaftlich herausgearbeitet, von Peter Weiss dramatisiert und vom Regie-Duo Jean Marie Straub / Danièle Huillet verfilmt wurde.

Die Durchdringung und Entflechtung dieser komplexen, sich häufig überlappenden Rezeptionsnetze mit ihren vielfältigen Querverbindungen erscheint mir als ein Weg, um zum Verständnis des Kosmos Hölderlin zu gelangen.

Michael Boss, Düsseldorf

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